Liebe Emilia,
eine interessante Frage, die du da stellst:
Kann es sein, dass es Menschen gibt, die gar keine Anerkennung wollen oder es einfach nicht vertragen, wertgeschätzt zu werden?
Zuerst hab ich gestutzt, als ich das gelesen habe, doch dann kam dein Beispiel von Herrn B.
Er ist in deinem Team Fachexperte für die IT und ein bisschen wortkarg. Als Chefin wolltest du ihm was Gutes tun, hast seinen Einsatz bei den letzten beiden Projekten gelobt, hast ihm gesagt, dass es dank seines Tuns wirklich gut läuft.
Du hast auf seine Reaktion gewartet. Er hat deine Worte unkommentiert gelassen, hat keine Miene verzogen. Du hast den Eindruck, dass er sich gerade ein bisschen zurückzieht.
Ich weiß ja, dass in allen Magazinen und Fachartikeln die Wertschätzung als das A und O betrachtet wird. Man wird nicht müde zu betonen, dass es das wichtigste Führungsinstrument überhaupt ist. Dass Wertschätzung für uns alle essentiell ist.
Ja, Wertschätzung ist essentiell für uns Menschen – doch nur dann, wenn sie ZWECKFREI ist.
Ich bin der Meinung, dass Wertschätzung kein „um zu“ gebrauchen kann, dass kein Zweck damit verfolgt werden darf, dass es nicht um Nutzen dahinter geht.
Was passiert, wenn Menschen spüren, dass sie mit Wertschätzung „gesteuert“ werden sollen?
Menschen werden misstrauisch.
– Sie fragen sich: Was möchte sie damit erreichen?
– Soll ich weichgekocht werden?
– Soll ich freiwillig noch weitere Aufgaben übernehmen?
– Braucht sie wieder Überstunden von mir?
Menschen wehren ab.
– Sie sind es nicht gewohnt, Anerkennung anzunehmen.
– Sie wollen nicht hervorgehoben werden.
– Sie haben Angst vor der Reaktion anderer (Neid, Spott …)
– Sie wollen sich nicht manipulieren lassen.
Wenn es keine Unternehmenskultur gibt, in die Wertschätzung eingebettet ist, wird es als methodischer Kniff erst recht nicht funktionieren, bzw. gleich ins Gegenteil umschlagen.
Wie geht also echte und zweckfreie Wertschätzung?
– Sie wird als echte Rückmeldung gegeben.
– Sie ist ein Geschenk.
– Sie ist kein methodisches Werkzeug, sondern ein Akt der Menschlichkeit.
– Sie entspringt aus einer menschenfreundlichen Haltung, aus einem positiven Menschenbild:
Wie gut, dass du da bist. Dass du hier für uns tätig bist. Dass du hier mitwirkst.
Dass du deine Kompetenzen hier einbringst.
Wir nehmen es nicht als selbstverständlich, was du hier für uns bist und tust.
– Sie ist kein Lob, mit dem ich anderen klarmache, dass sie hier den gesetzten Standards entsprechen. 😉
Es gilt also andere Wege zu beschreiten – und das Positive, das wir sowieso wahrnehmen, ins Wort bringen (wer wenig Positives wahrnimmt, fängt mit Schritt 1 an, nämlich den eigenen Blick zu schulen, was im eigenen Unternehmen wirklich gut läuft ).
Wenn du immer deutlicher erkennst, was gut läuft, passieren zwei Dinge: Zum einen wirst du selber fröhlicher und dankbarer – und du erkennst, dass Menschen echt gern zum Gelingen beitragen (wollen, wenn sie dürfen).
Jetzt das Ganze in Sprache gepackt und das geht so:
1. Beschreibe, was du gesehen und gehört hast.
2. Sprich die Wirkung an, die das hatte (auf Kunden, auf die Zusammenarbeit, auf dich selbst … )
3. Bedanke dich.
… und das alles in drei kurzen Sätzen! 😉
Und noch ein Tipp: Bei introvertierten oder schweigsamen Personen nicht auf eine Reaktion warten, sondern das Ganze mal im Vorübergehen ausprobieren, so dass es allein weiterwirken kann (weil der andere sich dann nicht zur Reaktion verpflichtet fühlt – und die Anerkennung kann einsickern ). Vielleicht auch ein Tipp für Herrn Breitenberger?!?
Was mich immer wieder am meisten beeindruckt: Wie Menschen leuchten und aufblühen, wenn sie als Mensch und mit ihrem Beitrag wahrgenommen werden, wenn sie spüren, dass Wertschätzung aus dem Herzen und nicht aus dem Methodenkoffer kommt!
So … und hier meine Wertschätzung für dich: 😉
„Danke für deine geniale Frage, die mich echt nachdenklich gemacht hat. Du hast mich mein Lieblingsthema neu beleuchten lassen – wie schön, dass du damit auf mich zugekommen bist.“
Lieben Gruß
Marianne